Montag, 18. März 2024

Im Lande von Radek, Timmo und Ljub

Jedes Jahr im Sommer wird die deutsche Ostseeküste zum Schauplatz einer wahren Völkerwanderung. Heerscharen von Touristen machen sich das Land zwischen Flensburger Förde und Rügen zu eigen. Das war früher nicht anders. Schon im Mittelalter kämpften Slawen, Sachsen und Dänen um die besten Plätze. Davon erzählen uns die Ortsnamen noch heute.

Man könnte meinen, meine Heimat sei das Auenland, denn da, wo ich herkomme, enden viele Ortsnamen auf »-au«. Zum Beispiel Bad Schwartau, wo ich einst zur Schule ging. Lange, bevor Schwartau ein Heilbad und Zentrum der Marmeladenindustrie wurde, hieß es »Swatahva«, was »schwarzes Wasser« bedeutete. Unweit von Schwartau liegt mein Heimatdorf Ratekau. Dessen Name hat jedoch nichts mit »Au« oder »Aue« in der Bedeutung »Wasser« zu tun. In früheren Zeiten hieß Ratekau noch Radekowe, und diese Endung »-owe« ist slawischen Ursprungs und zeigt eine Zugehörigkeit an. Radekowe bedeutet also „dem Radek gehörend“ und bezog sich auf alle Häuser und Höfe, in denen Radeks Leute lebten. Nur zwei Kilometer weiter liegt das Dorf Techau, das so heißt, weil hier einst »die Leute des Tjech« siedelten.

Die Feldsteinkirche in Ratekau

Aus vielen Ortsnamen, die auf »-au« enden, kann man folglich auf eine slawische Siedlung schließen. Die einen wurden nach Personen benannt (Grönau = Siedlung des Gron; Krokau = Siedlung des Krok), die anderen nach landschaftlichen Gegebenheiten (Bosau von baz = Fluss, also »Siedlung am Fluss«; Glasau von glaz = Stein, also »Siedlung bei den Steinen«).

Um das Jahr 1000 hatten die slawischen Stämme die Ostseeküste fest im Griff. Zu jener Zeit hieß meine Heimat auch noch nicht Ostholstein, sondern Wagrien, benannt nach dem Stamm der Wagrier. Damals war Schleswig-Holstein ein Vielvölkerstaat: im Norden die Dänen, im Osten die Slawen, im Südwesten die Sachsen und an der Westküste die Friesen. Und alle Völker hinterließen Spuren, nicht nur in Form von Hünengräbern und Moorleichen, sondern vor allem in den Ortsnamen. Während sich die Endung »-owe« in Schleswig-Holstein zu »au« entwickelte, wurde sie in Mecklenburg zu »ow«, wobei das »w« noch mitgeschrieben, aber nicht gesprochen wird. Davon zeugen Namen wie Bützow (= Siedlung des Butis), Güstrow (= Ort der Eidechsen), Wustrow (= umflossener Ort, Ort auf der Insel) und Malchow (= Siedlung des Malach).

Den Slawen verdankt die schleswig-holsteinische Ostseeküste außerdem Namen wie Grömitz (aus Grobenica = Siedlung am Graben), Dahme (aus daby = Eichen, also Siedlung bei den Eichen) und Puttgarden, das nichts mit »Garten« zu tun hat, sondern vom slawischen »grad« herrührt, das »Burg« bedeutet. Die bekannteste slawische Namensgebung aber dürfte Lübeck sein, das einst Lubici hieß und »Siedlung des Ljub« bedeutete. Im Wikipedia-Artikel über Lübeck wird behauptet, Lubici heiße »die Liebliche«, was vielen Lübeckern bestimmt sehr gefällt. Die Benennung nach einem Anführer aus Fleisch und Blut namens Ljub ist allerdings wahrscheinlicher, auch wenn sie weniger lieblich ist.

Etwa auf der Höhe von Kiel endete das Gebiet der Wagrier. Ab hier herrschten die Dänen. Von denen stammen besonders putzige Ortsnamen, zum Beispiel jene, die auf »by« enden, wie Brodersby, Gammelby, Grumby, Osterby, Schuby und Windeby. Ursprünglich handelte es sich um Bauernhöfe (von dänisch by = Hof), die im Laufe der Jahrhunderte zu Dörfern und Städten wuchsen. Andere dänische Gründungen enden auf »up«, wie Frörup, Satrup, Sörup und Süderbrarup. Dieses »-up« ist ein Überbleibsel des dänischen »torp« und bedeutet, wie man erahnen kann, nichts anderes als »Dorf«. Das gilt allerdings nicht für den Lübecker Stadtteil Schlutup. Der verdankt seinen Namen nicht den Dänen, sondern dem niederdeutschen »sluk op!« (= Schluck runter!), einem spöttischen Ausruf, mit dem die einst ärmliche Siedlung im Volksmund verunglimpft wurde.

So wenig, wie man von Radek und Tjech weiß, die vor mehr als tausend Jahren Ratekau und Techau gründeten, so wenig weiß man auch von Timmo. Doch dieser Timmo muss ein gutes Gespür für hervorragende Lagen gehabt haben, denn er wählte für seine Siedlung eine Stelle, die zu einem der berühmtesten Badeorte Deutschlands werden sollte: Timmendorf. Auch Sirik (= der Siegreiche) wählte einen guten Platz, nämlich Sierksdorf (= Siriks Dorf ).

Wem der Sinn nach ein wenig mehr Exotik steht, der kann freilich auch in Kalifornien Urlaub machen. Dafür braucht er keine Dollars und kein Visum. Er braucht nicht einmal in ein Flugzeug zu steigen. Kalifornien ist der Name eines Badeortes an der Kieler Bucht. Dort kommt man bequem mit dem Auto hin. Und wem das nicht exotisch genug ist, der braucht nur fünf Minuten in östlicher Richtung zu gehen, und schon ist er in Brasilien. So nämlich heißt der Nachbarort.

Dieser Artikel entstand im Auftrag der Zeitschrift »Dünenzeit«. Klicken Sie hier, um sich den Artikel anzeigen zu lassen, wie er in der Zeitschrift abgedruckt wurde.

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