Donnerstag, 18. April 2024

Alles Malle, oder was?

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Die Sonne scheint bei Tag und Nacht – Eviva España! Sangria, Paella und Malle! Was wären wir Deutschen ohne unsere spanische Lieblingsinsel und ohne die iberische Küche? Spanisches nehmen wir ja gerne in den Mund – nur mit der Aussprache hapert’s manchmal.

Sommerzeit, Ferienzeit – und wie jedes Jahr fliegen Hunderttausende Deutsche zu jener spanischen Insel, die von manchem schon liebevoll-imperialistisch als 17. Bundesland bezeichnet wurde. Dabei wissen längst nicht alle einmal, wie man den Namen dieser Insel richtig ausspricht: Viele nennen sie „Mal-lor-ka“, mit einem lieben, lustigen „l“-Laut in der Mitte. Dass das Doppel-l im (Hoch-)Spanischen für „lj“ steht, kann man ohne entsprechende Vorbildung ja auch nicht wissen. Und selbst diejenigen, die über die entsprechende Vorbildung verfügen, sprechen in der verkürzten Form gern von „Malle“.

Offiziell wird das spanische „ll“ (genannt „elje“) mit einem leicht anklingenden „l“ gesprochen, so wie im deutschen Wort „Familie“. Aber für Spanien gilt dasselbe wie für Deutschland: Überall spricht man anders. In der Umgangssprache hat sich das Elje zu einem „j“ verschliffen, sodass die Form „Majorka“ inzwischen häufiger zu hören ist als „Maljorka“. In Südamerika ist es sogar noch ein bisschen anders, aber das führte jetzt buchstäblich zu weit. Bei der Paella ahnen die meisten Deutschen offenbar, dass dort irgendwo ein „j“-Laut hingehört. Das beliebte spanische Resteessen wird jedenfalls zumeist richtig „Paëlja“ ausgesprochen, sowohl mit l als auch mit j.

Regelmäßig ins Schleudern kommt man im Spanischen ja beim Zählen. Erst haben wir Deutschen mühsam die italienischen Zahlen gelernt (uno, due, tre, quattro), nun müssen wir auch noch die spanischen lernen. Und die sind so verdammt ähnlich! Was heißt denn nun „zweimal Paella bitte“ auf Spanisch? „Due … nein … dos paella per … por … favore.“ Oder so ähnlich. Hauptsache, man wird verstanden.
Und das wird man ja, weil immer mehr Spanier inzwischen Deutsch sprechen. Zumindest in der Gastronomie. Die meisten Speisekarten sind ohnehin mehrsprachig. Dabei kommt es immer wieder mal zu Missverständnissen. Während man im Italienischen zwischen den Wörtern stagione (Jahreszeit) und stazione (Bahnhof) unterscheidet, gibt es im Spanischen dafür nur ein Wort: estación. Dies erklärt, weshalb der Wirt der Pizzeria „Don Quixote“ am Ballermann auf seiner Karte keine Pizza „Vier Jahreszeiten“ führt, sondern eine Pizza „Vier Bahnhofs“. Wer sich mit derartigen Feinheiten des Spanischen nicht auskennt, versteht da freilich nur Bahnhof – das dann aber gleich vierfach.

Neben Übersetzungsfehlern sorgen natürlich auch Hörfehler für Heiterkeit im deutsch-spanischen Kulturaustausch. Eines der berühmtesten Beispiele ist der bei deutschen Touristen so beliebte Schlager „Eviva España“*. Der deutsche Refrain basiert auf einem Hörfehler, denn „Eviva España“ ergibt im Spanischen gar keinen Sinn. Der korrekte Konjunktiv lautet „¡Que viva España!“ („Möge Spanien hochleben!“), und so heißt es denn auch in der spanischen Version des Liedes. Das soll uns aber nicht davon abhalten, weiterhin „Eviva España“ zu singen, denn auch wenn es falsch ist, so klingt es doch schön! Spätestens seit „Winnetou“, den Karl May erdachte und beschrieb, ohne das Land der Rothäute mit eigenen Augen gesehen zu haben, und dessen Abenteuer 70 Jahre später in einem Land verfilmt wurden, in dem es niemals Indianer gegeben hat (in Jugoslawien nämlich), noch dazu mit einem Franzosen in der Titelrolle – spätestens seitdem wissen wir doch, dass die Vorstellung, die man sich von einem Land und seinen Bewohnern macht, nicht unbedingt den Tatsachen entsprechen muss, um von diesem Land und seinen Bewohnern begeistert zu sein.

Die Deutschen, die dauerhaft auf Mallorca leben (vornehm auch „die deutschen Residenten“ genannt), schlagen sich indes mit ganz anderen Problemen herum. So wollte der Chefredakteur der „Mallorca Zeitung“ beispielsweise von mir wissen, ob es eine Regel für die Ableitung von Städtenamen gebe. Wie heißen die Einwohner der Inselhauptstadt Palma? Werden sie auf Deutsch Palmaner genannt? Oder Palmaraner? Palmarianer? Oder gar Palmesen? Da war ich im ersten Moment ratlos. Eine Regel gibt es nämlich nicht, die meisten Formen sind historisch gewachsen; manchmal entstanden sie in Analogie zu anderen Formen, manchmal setzte sich auch einfach diejenige Form durch, die sich am besten aussprechen ließ.

Sicher weiß ich nur, dass die Bewohner Palmas nicht „Palmen“ heißen. Die gibt es auf der Insel zwar auch, doch die bewegen sich nicht von der Stelle. In der Redaktion der „Mallorca Zeitung“ orientiere man sich an den spanischen Formen, erklärte mir der Chefredakteur. Und auf Spanisch heißen die Bewohner von Palma de Mallorca „Palmesanos“. Ich erwiderte, dass ich die Übernahme der spanischen Form für eine vernünftige Lösung halte, auch wenn sie ein bisschen nach italienischem Reibekäse klingt.
Auch im Spanischen gibt es für die Ableitungen keine festen Regeln. Die Bewohner der kanarischen Insel La Palma werden „Palmeros“ genannt, und die Einwohner der Stadt Las Palmas auf Gran Canaria heißen „Palmense“. Da soll sich einer zurechtfinden! Die meisten sind ja schon froh, wenn sie die kanarischen und die balearischen Inseln auseinanderhalten können. (Die Eselsbrücke lautet: Auf Malle gibt’s den Ballermann, daher gehört die Insel zu den Balearen.)

Zum Verwirrspiel zwischen „l“ und „j“ wusste ein Leser folgende hübsche Anekdote zu berichten: Als der Schauspieler Til Schweiger einmal zu Gast in der Harald-Schmidt-Show war und es um Tequila ging (das ja nur mit einem „l“ geschrieben und deshalb auch im Spanischen als „l“ gesprochen wird), soll Schweiger den Gastgeber verbessert haben, als dieser richtig „Tekila“ sagte. Im Spanischen würde das „l“ wie ein „j“ gesprochen, so Schweiger, deshalb heiße es „Tekija“. Da Schweiger dies sehr überzeugend vortrug, sprach die ganze Runde fortan von „Tekija“.

Auf einem Rummelplatz in Palma de Mallorca erlebte ich etwas, das mich schmunzeln ließ. Ich hatte Appetit auf etwas Süßes und reihte mich in die Warteschlange vor einem Crêpe-Stand ein. Vor mir war ein ungefähr achtjähriger mallorquinischer Junge dran. Als er gefragt wurde, was er auf seine Crêpe haben wolle, deutete er auf das Glas mit der Haselnusscreme und rief: „Nuteja!“ So also rächt sich der Spanier für unser „Mal-lor-ka“. Er spricht das Doppel-l in „Nutella“ wie ein „j“! Was dem Deutschen sein Malorka, das ist dem Spanier sein Nuteja. Damit wäre dann ja alles im Lot. Die Touristin, die nach mir an der Reihe war und einen Pfannkuchen mit Grand Marnier und Schlagsahne bestellte, erkundigte sich in bestem Volkshochschul-Italienisch nach dem Preis: „Quanta costa?“ Spanisch wäre „Cuánto cuesta“ gewesen. „Cuánta costa“ versteht man gleichwohl, allerdings heißt das etwas anderes, nämlich „Wie viel Küste?“ Eine seltsame Frage, auf die es aber auf Mallorca nur eine Antwort geben kann: Sehr viel!

*Die Sonne scheint bei Tag und Nacht / Eviva España!
Der Himmel weiß, wie sie das macht / Eviva España!
Die Gläser, die sind voller Wein / Eviva España!
Und bist du selber einmal dort / willst du nie wieder fort.

(wahlweise auch: „Und jeder ist ein Matador – España por favor“)

Gesang: Imca Marina (1972) u.v.a.
Text: Leo Rozenstraten/Hans Bradtke
Musik: Leo Caerts jr

 FOTO: Paella, QUELLE: Wikipedia

(c) Bastian Sick 2006


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.

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